Exkursion zu Deutschlands erster Modellbaustelle für „BIM im Tiefbau“ mit IHK-Arbeitskreis Tiefbau 3D+
Die Idee
„Im Prinzip probieren wir auf dieser Modellbaustelle nur das aus, worüber andernorts in Expertenkreisen sehr abgehoben von der Praxis debattiert wird“, erklärt MTS-Geschäftsführer Rainer Schrode, der gemeinsam mit dem IHK-Arbeitskreis Tiefbau 3D+ zur Exkursion eingeladen hatte. „Um die gemachten Erfahrungen in die Öffentlichkeit zu tragen und zur Diskussion zu stellen, haben wir gemeinsam mit dem IHK-Arbeitskreis Tiefbau 3D+ Vertreter aller am Bauprozess Beteiligten zu einem Besuch eingeladen und sind begeistert von der extrem positiven Resonanz.“
Die Stationen
Zum Auftakt der Exkursion hatte Schrode im Rahmen einer Live-Demonstration innovativer Tiefbautechnologie gemeinsam mit dem KI-Experten Robin Popelka den thematischen Bogen von der Kanalerstellung nach 3D bis hin zu den Perspektiven einer Flächendeckenden Verdichtungskontrolle (FDVK) geschlagen. Weiter ging es im MTS-Trailer mit CAD-Experte Andreas Ragg und Bereichsleiterin Ulrike Nohlen zu einer multimedial begleiteten Einführung ins Thema 3D-Planung und Datenaufbereitung nach BIM-Vorgaben. An der nächsten Station demonstrierten Baggerfahrer Mustafa Durgan und Stefan Vezonik sowie Anwendungsingenieur Kevin Rau den Teilnehmern auf der Live-Baustelle das Arbeiten nach Digitalem Geländemodell (DGM) am Beispiel der Herstellung eines Erdplanums.
Wie sich gemäß BIM dokumentieren und ein Aufmaß erstellen lässt, erklärten Polier Manfred Vöhringer und Bauleiter Michael Reichenecker den Exkursionsgästen an der nächsten Station im Baucontainer. Sie diskutierten mit den Teilnehmern auch, welche Veränderungen sich im Zuge von BIM für die Mengenermittlung und Abrechnung ergeben. Der BIM-gemäßen Absteckung von Randeinfassungen und dem Aufnehmen von Leitungen und Schächten widmeten sich anschließend Bauleiter Gerd Reimold und Polier Josia Wald. Bestückt mit Rover und ToughPad-Display erhielten die Exkursionsgäste parallel dazu die praktische Einweisung in die konkrete Umsetzung.
Über die Perspektiven für Gerätemanagement informierten schließlich Produktmanager Dr. Gerhard Lörcher und Diplom-Geografin Ruth Bantle anhand anschaulicher Praxisbeispiele rund um die smarte Erfassung von Geräten und Kosten. Den Schlusspunkt der Exkursion setzten Josef Missel und Andreas Falch mit einer Präsentation von technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten im traditionsreichen Backhaus der Schwäbischen Albgemeinde. Auch ansonsten war der anspruchsvoll aufbereitete „BIM-Parcours“ stilvoll in den Ortskern der 200-Seelen-Gemeinde eingebettet.
Hintergrund
Was heißt eigentlich BIM?
Ausgeschrieben steht das Kürzel BIM für „Building Information Modeling“, was sich am einfachsten mit „modellbasiertem Bauen“ übersetzen lässt. In der Umsetzung bedeutet das: Das zu erstellende Bauwerk wird erst digital in 3D (dreidimensional, sprich in Lage und Höhe) geplant und virtuell im Maßstab 1:1 errichtet und erst dann real. Der Vorteil: Gebaut wird nicht nach einer vage definierten Vorstellung des Bauherren, sondern nach einem gemeinsam entwickelten und getesteten Modell, auf das alle gleichermaßen Zugriff haben. So ergibt sich schon bei der Planung eine Kollisionsprüfung und Fehler können bereits vor dem Bau korrigiert werden.
Darüber hinaus umfasst BIM den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks. Sprich: Bauunternehmer und Planer liefern dem Bauherren nicht mehr nur ein Bauwerk, sondern auch sämtliche Informationen, die für Bewirtschaftung und/oder Rückbau desselben notwendig sind“. Damit bringt BIM auf der einen Seite zwar einen zusätzlichen Aufwand für die Planung mit sich, im Rückkehrschluss aber auch eine enorme Prozess- und Kostensicherheit für die Bauherren.
Wie weit ist die Umsetzung im Tiefbau gediehen?
"Die Realität der Bauwirtschaft ist von diesem Ziel jedoch noch weit entfernt, denn hier wird nach wie vor nicht leistungs- sondern nachtragsorientiert gearbeitet. Sprich: Der Bauunternehmer muss durch mangelnde Planung verursachte Verluste über ein Nachtragsmanagement ausgleichen und der Auftraggeber die „Zeche“ dafür zahlen (im Schnitt rund 60 Prozent Mehrkosten). Und bei kommunalen Projekten wie dem Berliner Flughafen zahlt dann letztlich der Steuerzahler das drauf, was im Zuge einer ordnungsgemäßen Planung hätte verhindert werden können“, erklärt MTS-Geschäftsführer Rainer Schrode.
Kein Wunder also, dass sich viele Bauunternehmer und Auftraggeber vorm Umsatteln scheuen – auch aus Liebe zur Gewohnheit und aus Angst vor dem Aufwand, der mit jeder Veränderung verbunden ist. Währenddessen fragen die Planer zu Recht, wer ihnen den Mehraufwand für eine modellbasierte Planung entlohnt. Denn noch gibt es für diese Honorierung keine rechtsverbindliche Regelung, obwohl der Aufwand fürs digitale Planen im Zuge des modellbasierten Bauens nicht neu entsteht, sondern einfach von der Bauausführung in die Planung verlegt wird.
„Diese strukturelle Vorgabe ist einer der maßgeblichen Gründe, weshalb der Tiefbau dem Hochbau beim Thema BIM so sehr hinterher hinkt“, so Schrode. „Denn der Hochbau wird im Gegensatz zum Tiefbau von Auftraggeberseite vorangetrieben, da die Bauherren hier meist privat unterwegs sind und sich den finanziellen Vorteil modellbasierten Bauens so ins eigene Portemonnaie wirtschaften können. Expertenzirkel können diese Zusammenhänge allenfalls thematisieren. Verändern können wir sie nur durch konkrete Pilot-Projekte wie diese Baustelle: Denn nur sie zeigen auf, wie und unter welchen Voraussetzungen sich BIM heute konkret umsetzen lässt – nicht auf der grünen Wiese, sondern auf realen Modellbaustellen.“
Die Modellbaustelle
Auf der Suche nach einer geeigneten Modellbaustelle hatte Schrode zunächst beim Bund angefragt, hier aber nur Hinweise auf Brücken- und Tunnelprojekte erhalten, die mit den Belangen kommunalen Tiefbaus nichts zu tun haben. So wandte er sich mit seinem Gesuch an Bürgermeister und Planer und stieß auf viele offene Ohren. Die Ausschreibung scheiterte trotz Kosten- und Terminvorteil jedoch immer wieder an dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung; man würde Bieter ausschließen, die nicht in der Lage waren, so eine Ausschreibung und Ausführung umzusetzen.
Nach über dreijähriger Suche hatte Schrode Anfang diesen Jahres schließlich alles beisammen, was er brauchte: Eine Baustelle mit genügend komplexen Anforderungen, um BIM auf Herz und Nieren zu prüfen (bei der Sanierung sollen alle Kanäle und Straßen im Bestand komplett erneuert werden). Im Rücken sein eigenes Tiefbauunternehmen, das alle technischen und fachlichen Voraussetzungen für die 3D-Bauausführung erfüllt. Dazu ein Planungsbüro, das motiviert und in der Lage war, im Vorfeld eine akribische 3D-Planung umzusetzen. Und eine Stadt, die den Vorteil der Prozess- und Kostensicherheit sofort für sich erkannte.
Das Modellprojekt: Die Sanierung einer Ortsdurchfahrt im Schwäbischen Erbstetten. „Ein komplexes Bauvorhaben, bei dem es gilt, mitten im Bestand sämtliche Kanäle und Straßen zu erneuern“, so Schrode. „Nur unter solchen Realbedingungen lässt sich ernsthaft prüfen, ob und wie sich „BIM im Tiefbau“ in der Praxis wirklich umsetzen lässt und welche Hürden einem auf dem Weg dorthin begegnen. Und genau diesen Fragen muss sich die Bauwirtschaft stellen, wenn sie das Thema BIM von der Möglichkeit zur gelebten Praxis führen will.“
In dem von ihm gewählten Setting konnte sich das klassischerweise auf Konfrontation ausgerichtete Zusammenspiel der am Bauprozess beteiligten Parteien zu einer sehr partnerschaftlichen Zusammenarbeit wandeln, die trotz aller Beschwerlichkeiten in der Startphase bis heute für eine große Zufriedenheit auf allen Seiten sorgt. Der erste Bauabschnitt ist mittlerweile abgeschlossen und der zweite bereits in Angriff genommen.
Resümee
Rainer Schrodes Zwischenresümee: „Im Prinzip probieren wir auf dieser Baustelle gemeinsam mit den anderen am Bauprozess Beteiligten einfach das aus, worüber andernorts in Expertenkreisen meist sehr abgehoben von der Praxis debattiert wird. Denn es ist höchste Zeit, die virtuellen Denkgebäude auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen und auch der Politik gegenüber aufzuzeigen, wo es noch klemmt.“
So sollte aus Schrodes Sicht die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) dringend an BIM angepasst werden, da hier aktuell noch keinerlei Honorierung des deutlich erhöhten Planungsaufwands von modellbasierten Bauen vorgesehen ist. „Dabei entsteht der Aufwand nicht neu, sondern wird einfach in die Planung vorverlegt.“
Auch müsse die GPA (Gemeindeprüfungsanstalt) ihre Vorgaben dringend korrigieren, da sie ein digitales Aufmaß auch im Rahmen von BIM-Projekten Stand jetzt noch auf ein Jahrzehnt hin nur bedingt akzeptiert. „Die Forderung derzeit lautet: Wir sollen digital planen und bauen, für die Prüfung unsere Pläne aber weiter in Papierform ausdrucken, was einen dem BIM-Grundgedanken widersprechenden und völlig unnötigen Aufwand mit sich bringt.“
Abschließend fasst Schrode zusammen: „Im Prinzip geht es also eigentlich darum, nebst weiteren Bauunternehmern, Auftraggebern und Planern auch die Gremien und Institutionen an den gemeinsamen Tisch zu bekommen, die die Vorgaben für unsere Arbeit definieren. Denn Zukunft lässt sich – auch im Tiefbau - nur gemeinsam gestalten.“
Arbeitskreis Tiefbau 3D+
Building Information Modeling (BIM) soll gemäß dem Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur für Infrastrukturprojekte bis 2020 eingeführt sein. Die Methode ist auch für den Tiefbau hochinteressant. Für den kommunalen Tiefbau (Baugebietserschließungen, Rohrleitungs- und Kanalbau) sind jedoch weder die Anforderungen an die Modelle, noch die Methoden und Austauschverfahren definiert.
Ziel des Arbeitskreises „Tiefbau 3D+“ ist es, die Grundlagen für die Anwendung von Building Information Modeling (BIM) im Tiefbau zu schaffen und den Austausch zwischen Bauunternehmen, Planern, Bauherren und Verwaltung zu fördern. Der Arbeitskreis möchte die kommunalen Auftraggeber sensibilisieren und als Partner für ein kommunales Pilot-Bau-Projekt gewinnen.
Ihre Ansprechpartner
Hartmut Gündra
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